Mittwoch, 26. November 2014

Wen lasse ich in meine „filter bubble“?

Wir kennen es alle aus unserem Alltag: Manches, was ich höre, kommt mir näher, manche Schilder fallen mir ins Auge, anderes nehme ich scheinbar nicht mal war und einiges versuche ich aktiv auszublenden, vielleicht wegzuschauen … ganz normale Reaktionen, und für ein gesundes Seelenleben sind sie oft wichtig. Oder einfach auch, um mit dem Fahrrad oder Auto sicher von A nach B zu kommen ohne von C abgelenkt zu werden und an D anzustoßen. Reizüberflutung und Beschleunigung sind bedenkenswerte und oft diskutierte Chiffren unsrer Zeit. Es geht um Sehen, Hören – und vielleicht sogar um Fühlen.
Wenn ich aber die Grenzen und Mauern um mich herum sehr hoch ziehe und die Fenster zum Durchschauen sehr klein, dann lebe ich zuletzt vielleicht in einer bestimmt sehr gemütlichen, aber auch sehr begrenzten Seifenblase. Dafür gibt es inzwischen im Blick auf moderne Medienkommunikation einen Fachbegriff, der durch ein Buch geprägt wurde und selbstverständlich schon lange einen Wikipedia Eintrag hat: die Filterblase oder Informationsblase (verzeihen Sie mir den englischen Ausdruck in der Überschrift). Mathematische Formeln
berechnen, was ich suche und wissen möchte und sortieren deswegen danach bereits die Informationen und Nachrichten, die mir angezeigt werden. Denn Dinge, die ich gar nicht hören möchte oder die nicht in das mir angenehme Weltbild und den Wunsch der Alltagsharmonie passen, erzeugen Widerstände in mir und lassen
die Akzeptanz des Internetdienstes sinken – möglicherweise würde ich dann bei einer Konkurrenzseite weiter suchen, und das möchte natürlich niemand. Google, Facebook & Co machen es vor, mehr Dienste als wir es vielleicht ahnen machen es nach und mit hoher Wahrscheinlichkeit hat jeder schon an solchen Effekten teilgenommen, ohne es auch nur zu ahnen.Ich will mich hier gar nicht im Spektrum der Meinungen verorten, ob
dies sogar für den notwendigen Diskurs einer Zivilgesellschaft gefährlich sei oder letztlich nur marginale Auswirkungen hat – ich versuche für mich in möglichst bewusster Nähe oder Distanz zu solchen Bewegungen
meine Kommunikation zu gestalten. Es lässt mich aber wieder aufmerksam werden, dass das ja eigentlich
auch wieder nichts Neues unter der Sonne ist – siehe der Einstieg oben.

Es ist aber auch ein wichtiges Stichwort für mich im Blick auf die zur Zeit immer mehr Aufmerksamkeit und Fahrt bekommende Begrüßung und Beheimatung von Menschen, die auf der Flucht vor Vertreibung, Verfolgung und Not oft traumatisiert zu uns kommen und als Flüchtlinge in Notunterkünften untergebracht werden. In diesem Jahr sind schon 133 neue Gäste zu uns nach Sankt Augustin gekommen, in der Presse wird über neue und vorläufige Unterkünfte berichtet – und auch die Kosten werden diskutiert, denn wer blickt schon bei dem System von Zuweisung und Zuwendung durch?

Wer in diesen Tagen unseren neuen Bischof beobachtet, könnte den Eindruck bekommen, dass er in jede „filter bubble“, in die er zu Besuch kommt, ein neues Thema mit hineinbringt – und mitunter dabei die Menschen mächtig irritiert. Ob gelegen oder ungelegen, weist er nämlich auf das Schicksal von Flüchtlingen hin oder auf die Obdachlosen, die manchmal sogar vor der Tür von hochmodernisierten Pfarrzentren liegen (so nachzulesen im Bericht über eine hochkarätige Veranstaltung im sehr katholischen Neuss.) Auch in unsere oder unsere vielen Filterblasen in Sankt Augustin möchte ich seine Botschaft gesagt wissen:
„Gemeinsam können wir alle zu einer Willkommenskultur für Flüchtlinge im Erzbistum Köln beitragen.“

Marcus Tannebaum 

Ankunft des Herrn, Beate Heinen, 1992;
© ars liturgica Buch- &Kunstverlag MARIA LAACH, Nr. 5485
 Die Kultur des Wohlergehens [...] lässt uns in Seifenblasen leben...
(Papst Franziskus, Predigt auf Lampedusa 2013)

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