Sonntag, 24. Dezember 2017

Heilig Abend

alle Jahre wieder Heilig Abend - an der Krippe, in der Familie und im Alltag
Ein Fest für Jesus und für uns

Ich lade euch ein mit mir zu beten für die Not in der Welt, für den Frieden, besonders in Jerusalem, in Syrien, im Südsudan, für alle Ausgeschlossenen wie damals die Hirten, für die Traurigen und auch für jene, die trösten, für Kranke und auch für die, die pflegen, für die, die unterwegs sind wie Maria und Josef, für Obdachlose und Flüchtlinge, und für alle, die über die gute Nachricht staunen, die von der Liebe Gottes erfahren und davon weitererzählen und sie tun, damit andere sie erfahren.

Ich lade ein zu schauen, wo wir etwas dafür tun können, wo wir Frieden wachsen lassen können bei uns, wo wir helfen können vor unserer Tür. Und auch, wo wir Not lindern können, in dem wir etwas spenden. Vielleicht für die Hungernden im Südsudan oder auch einfach in den Spendenkorb an der Krippe für Menschen in Südamerika.



Diese kleine Faltkarte haben wir am Heiligen Abend in der Krippenfeier verteilt:

Da sind vier Szenen: die erste fängt noch vor dem Spiel an, das wir gesehen haben: Maria trifft den Engel, der ihr sagt, dass sie ein Kind bekommen wird – und sie sagt ja zu Gottes Plan und zu dem Kind. Ein Lichtstrahl von oben kommt zu ihr – und ein Evangelist (Lukas) schreibt das auf und wir lesen es noch heute.

Nach dem Aufklappen fällt das Licht in der zweiten Szene auf die Hirten – die haben wir eben hier mit vielen Schafen ja auch gesehen und gehört. Und diese einfachen Hirten kümmern sich um jedes Schaf und hören auch, was Gott ihnen sagen lässt.

Die dritte Szene ist dann an der Krippe angekommen. Stern, Esel und Ochse, Schafe und Hirten. Jesus zwischen Maria und Josef im Mittelpunkt. Und die Karte hat plötzlich die Form eines Kreuzes. Zu Betlehem geboren um zu den Menschen zu gehen und bis nach Jerusalem – und mit den Menschen zu sein bis ins Leiden und bis zum Tod. Am Kreuz. Doch das Leiden und den Tod wird er besiegen, durchkreuzen.

Auf dem Vierten Bild sehen wir dann wieder Lichtstrahlen, die nicht nur die Hirten begleiten, sondern auch in die Kinderaugen von heute fallen, wie die fünf Kinder, die heute hier auf der Suche nach dem Grund für die Geschenke waren. Staunende Augen, nachfragend, fröhlich. Die frohe Botschaft soll der ganzen Welt weitergesagt werden, bis in die Häuser der Menschen auch hier bei uns. Immer wieder gab und gibt es Menschen, die die frohe Weihnachtsbotschaft weitersagen und mit dem was sie tun dafür einstehen.


Frohe Weihnachten!

Mittwoch, 6. Dezember 2017

Alles hat seine Stunde ...




Vielleicht geht es Ihnen so wie mir: die Worte aus dem Weisheitsbuch Kohelet habe ich nicht zum ersten Mal gehört. Bei ganz verschiedenen Gelegenheiten waren wir aufgefordert, uns dazu Gedanken zu machen oder sie auch anderen zu sagen. Bei mir kommen da ganz unterschiedliche Resonanzen zum Tragen. Ich frage mich auch, was Menschen bei der Auswahl dieses Textes in jenem Augenblick durch den Kopf geht. Ich möchte Sie einladen, die Worte – immer wieder über die „Zeit“ - nachklingen zu lassen, sie auszukosten.

(c) Kladu / Pixelio


Ich teile mit Ihnen, was bei mir heute stärker widerklingt: da ist vom Umarmen die Rede, und vom Lösen der Umarmung. Je nach Übersetzung kann hier auch das Meiden von Umarmung herausgehört werden. Und vom Schweigen und vom Reden, vom Worte machen. Da kommt nach der Klage schon gleich wieder der Tanz. Ich überlege, ob alles maßvoll – oder auch maßlos gemeint ist. Das lässt der Text offen. Und dann natürlich auch: leben, Leben schenken, Leben geschenkt bekommen – Gebären – und: Sterben. 

Uhren takten unser Leben – eine Uhr finden Sie auch auf dem Liedblatt. Und wenn Sie keine Uhr als klassisches Gerät mit sich tragen, so helfen Ihnen vielleicht die Weckzeiten auf dem Smartphone. Manchmal nerven die automatischen Terminerinnerungen, die ich selber setze. Oder sie helfen auch. Früher gab es in der Arbeitswelt vielfach die vermeintlich grausame Stechuhr. Aber so schlecht war es auch nicht, dass ganz klar war, was wann dran ist. Manche Menschen leiden heute unter der aufgelösten ständigen Eile oder dem Druck, selbst zu steuern. Wer oder was gibt mir meinen Takt vor?

Kohelet, ob ich ihn als Prediger der Lebensfreude oder – was vielleicht an meiner je augenblicklichen Resonanz liegen mag – als depressiven, gleichgültigen Pessimisten höre, ordnet jedem Geschehen seine Stunde zu. Jedem Ereignis. Oder auch: jedem Vorhaben. Menschen leiden unter sogenannter verpasster Zeit. Die Zeit ist bestimmt – muss sie auch ausgenutzt werden?

In meiner katholischen Tradition klingen dann Worte an, die zur Osterkerze gesprochen werden. Diese besondere Kerze brennt in Gottesdiensten zu besonderen Zeiten und Anlässen wie Taufen und auch Trauerfeiern, deswegen bringen wir auch in jede Trauerhalle auf den Friedhöfen eine solche Kerze. Beim ersten Entzünden am Feuer draußen vor der Kirche in der Nacht zum Ostermorgen werden die Zeichen auf der Kerze gesegnet und die Worte gesprochen: Sein ist die Zeit und die Ewigkeit. Gott hält die Zeit in seiner Hand.

Kohelet weiß sich und alles Geschehen eingeordnet unter den Himmel. Er akzeptiert Endgültigkeit und nennt sie beim Namen. Aber ohne Gleichgültigkeit. Für mich bedeutet es, dass ich mit dieser Einordnung aufgerufen und ermutigt bin, die Augen wieder aufzurichten, aufzuschauen, den Blick zu heben, nicht niedergeschlagen zu bleiben, sondern hinauf und über die Dinge zu blicken.

Manches geschieht zur Unzeit. Wir kennen die richtige Zeit nicht. Es bleibt auch unverständlich. Aber es hilft, sich in Gelassenheit zu üben. Johannes XXIII. werden die sogenannten Zehn Gebote der Gelassenheit zugeschrieben, da heißt es unter anderem: nur für heute werde ich mich bemühen, den Tag zu erleben. Den jeweils neuen Tag zu erleben. Ohne alles gleich verstehen oder lösen zu wollen.

Gelassenheit und Geduld üben. Mit mir selbst und meinen Gefühlen. Mit anderen und ihrer Trauer. Mit guten, heilenden – und auch mit zerstörerischen Gefühlen. Das klingt nach einer Herausforderung. Ich glaube aber, dass das für Viele eine wichtige Erfahrung war. Und es hat nichts mit Gleichgültigkeit zu tun.

Geduld führt zur Einfühlung; Einfühlung hilft mir und anderen, sich aus Verfangenheit zu lösen, Vergangenheit zu versöhnen, Erlebtes – Gutes und Nichtgutes – loszulassen. Und den neuen Tag zu erleben.
Geduld und Einfühlung, Liebe und Wohlwollen, gemeinsam Kraft finden, Vertrauen aufbauen. Immer wieder.

Der Beter der Psalmen, in dessen Worte wir gleich eingeladen sind einzuschwingen, spricht auch von Klage und von Tanz. Er legt sein Leben in seine – Gottes – Hände voll Vertrauen. Und er findet Zuversicht.

Das Dietrich-Bonhoeffer-Haus, in dem wir zusammenkommen und uns begegnen, trägt den Namen eines Mannes, der sich auch in ausweglos erscheinender Situation dieses nicht hat nehmen lassen. Er hielt die Hoffnung wider alle Hoffnung aufrecht – sich selbst und anderen. Am Ende unseres Abend hier im Kirchsaal möchte ich Sie dann einladen, dass wir uns mit seinen vielleicht bekanntesten Worten gegenseitig seinen – Gottes – Segen zusagen. Vielleicht haben Sie sie schon oft gesungen, in Auswahl können wir sie uns dann gut zu sprechen.


Noch ein letztes Wort von Kohelet: nach seiner Aufzählung der vielen Zeiten kommt noch etwas Wichtiges: Überdies hat Gott die Ewigkeit in alles hineingelegt. Er hat das „Immer!“ in das Herz der Menschen gegeben. Dies hat mich durch diese Gedanken, die ich hier mit Ihnen geteilt habe, und immer wieder in meinem Leben getragen.

 
Von guten Mächten wunderbar geborgen
sei Gott mit uns
am Abend und am Morgen
und an jedem neuen Tag.

Sonntag, 19. November 2017

Volkstrauertag 2017



Bild: Heinrich Dittmar/Fotogruppe. www.sankt-augustin.de


Frieden ist kostbar.
Im Herzen Europas nutznießen wir dieses Geschenk seit über 70 Jahren. Aber der Krieg auf dem Balkan in den 90er Jahren und die Auseinandersetzungen in der Ukraine sind gar nicht so weit weg – nur ein, zwei Tage mit dem Auto. Und der große Konflikt im Nahen Osten ist uns nicht zuletzt durch die syrischen neuen Nachbarn und ihre Nöte bedeutsam geworden.
 
Frieden ist kostbar.
Und wir müssen so viel wir nur können dafür tun. Nicht aus wirtschaftlichen Interessen. Für mich: aus Solidarität mit allen Menschen, die in Not und Leid leben. Kriegsgräber sind Mahnmale dafür und sollen die Erinnerung an den Wert  des Friedens festhalten. Wer mit offenen Augen und offenem Herzen über Kriegsgräberstätten geht, kann eine neue Perspektive auf die Bemühungen um Frieden gewinnen. Unser Gedenken ist auch ein Dienst daran.
 
Frieden ist kostbar.
In meiner Jugendzeit war ich neugierig. Ich habe mich mit einem Freund auf den Weg gemacht. Mit dem Fahrrad am ersten Tag bis in die Niederlande, am zweiten Tag bis Luxemburg, am dritten Tag erreichten wir schon Frankreich. Noch ein zwei Tage mehr, und schon kann man das Knochenhaus von Verdun erreichen. In den Vernichtungsschlachten des ersten Weltkrieges vor 100 Jahren wurden dort in kürzester Zeit und auf engstem Raum zehntausende Menschenleben vernichtet. Vermeintlich mit Gott auf der je eigenen Seite.
 
Frieden ist kostbar.
Was für eine Gnade, dass es heute möglich ist, so unkompliziert in unsere Nachbarländer zu reisen. Und dort gute Erfahrungen zu machen – spontane Hilfsbereitschaft bei einer Panne, gute Gespräche und Begegnungen mit Nachbarn beim Zelten und vieles mehr. Die Gnade, in diese lange Friedenszeit im Herzen Europas geboren worden zu sein, sollte uns demütig, dankbar und engagiert für den Frieden für unsere nahen und fernen Nachbarn, für diese und die kommenden Generationen machen.


Frieden ist kostbar.
Wir gedenken heute aller Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft und mahnen zum Frieden. Wir verbinden uns mit den vielen Gedenkfeiern in unserer Stadt und unserem Land, das aus guten Gründen besonders einen solchen Tag gestaltet. Erinnerung und Gedenken können und dürfen nicht auf die Toten der eigenen Familien, des eigenen Landes, nicht auf tote Soldaten und nicht auf die Toten einzelner Konflikte beschränkt sein – diesen Worten des Präsidenten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge schließe ich mich aus christlicher Überzeugung an.
 
Frieden ist kostbar.
Die Einbeziehung aktueller Ereignisse in unser Erinnern und Gedenken mahnt uns an unser aller Aufgabe:
aus den Lehren der Geschichte die Fähigkeit zur Versöhnung
und die Förderung des gerechten Friedens,
die Wahrung der Menschenrechte an allen Orten und
die Wahrung gerechter Wohlfahrt für alle zu entwickeln.
 
Frieden ist kostbar.
Beeindruckt, beunruhigt und im Blick auf Gott und die Mitmenschen beten jede Woche Menschen in unserer Stadt für den Frieden. Jeden Freitag wird in Coventry die Litanei der Versöhnung gebetet, mit der ich meine Rede begonnen habe.
Aus der Heiligen Schrift, der Bibel, begleitet und stärkt mich ein Text, der alles Geschehen unter dem einen Himmel, der uns alle überspannt, einordnet: es gibt eine Zeit zum Weinen, aber auch zum Lachen, des Klagens, des Umarmens – und auch des Lösens, des Zerreißens, des Schweigens und des Redens, des Sterbens, auch des Krieges, aber auch des Friedens. Überdies aber hat Gott die Ewigkeit in die Herzen der Menschen gelegt. Ein Geschenk Gottes. Er tut alles in Ewigkeit.
Von ihm her können wir miteinander den Frieden gestalten.
 
Frieden ist kostbar.

Dienstag, 7. November 2017

Aktiv und Beschaulich

Ist es in der Frage nach Ihrem persönlichen Ausdruck von Christsein im alltäglichen Le­ben die vermeintlich gegensätzli­che Frage nach Aktionismus oder Weltflucht? In vielerlei Formulie­rung steht dies scheinbar gegen­einander: Innen oder Außen, Aktiv oder Kontemplativ, Tun oder Beten, Aktionismus oder Besinnung. Bi­blisch kennen wir es ähnlich aus dem Lukasevangelium bei Maria und Martha (Lk 10,38-42). 

Aktion Goldhandys auch in unseren Gemeinden:
hundert alte Mobiltelefone wurden gesammelt.
Markenzeichen christlicher Spi­ritualität, eines Lebens mit Jesus Christus im Blick, sollte aber die Balance zwischen Innenwelt und Außenwelt sein, zwischen Machen und Empfangen. Nicht alles können wir schaffen, manches wird uns geschenkt (das bedeutet Gnade) – und wir müssen auch mit Scheitern rechnen und dürfen das auch zu­lassen.

Frère Roger aus Taizé hat dies in den siebziger Jahren des ver­gangenen Jahrhunderts stark aus­gedrückt mit seiner Schrift „Kampf und Kontemplation“. Für ihn, scheinbar zurückgezogen von al­lem auf einem abgelegen Hügel im Burgund lebend, gab es keine Spi­ritualität ohne Streit und Ausein­andersetzung, und andersherum keinen Kampf für Frieden und Gerechtigkeit und die Bewah­rung der Schöpfung ohne spirituelle Tiefe und die Verankerung in Gott.

Und heute? Christliche Gemeinden, die in größeren Kontexten gedacht und or­ganisiert werden sollen? Ei­gentlich ist es ja nichts neues, denn „katholisch“ bedeutet ja aus seiner griechischen Wort­bedeutung heraus nichts anderes als „weltumfassend“. Also auch nach außen verbunden gedacht. Das steht in einer gewissen Span­nung zur Idee einer Pfarrfamilie, die sich schon gegen naheliegende Nachbarn abgrenzen muss. Ver­ständlich sind Gefühle von Ab­schiedsschmerz und Verlorensein in ungewohnten Zusammenhän­gen, aber das hat nicht unbedingt etwas mit dem Glauben zu tun. Man kann den Eindruck gewinnen, dass die Dimension des „nach au­ßen Schauens“ in gemeindlichen Kontexten ehemals nicht so wichtig gewesen sein könnte. Da kann ein Aufbrechen auch ein Segen für den eigentlichen Auftrag sein. Christus hat seine Nachfolgenden zu allen Menschen gesendet und nicht zum Einigeln aufgerufen. Am Ende jeder Messe wird uns das auch zugerufen in der Sendung.
Unser Erzbischof hat uns im Fastenhirtenbrief 2017 gefragt: „Was lässt Sie als Einzelne oder als Gemeinde in Jesu Namen erkenn­bar sein als ChristInnen in Ihrer Stadt, Ihrem Ortsteil?“ Und schon vor Jahrhunderten haben Christen geschrieben: Wir sind Gottes Bot­schaft, in Taten und Worten ge­schrieben. Mit Kurt Marti gespro­chen ist Gott ein Tätigkeitswort. Und in der Zeit großer gesellschaft­licher Bedrängnis schrieb Dietrich Bonhoeffer, dass „Christsein (…) nur in zweierlei bestehen (wird): im Beten und im Tun des Gerech­ten.“

Was ist Ihre Stärke, die Sie für ein aktives Christsein in unseren Gemeinden einbringen können? Ganz im Rahmen Ihrer Möglich­keiten, auch begrenzt, mit Freude, vielleicht auch nur als Versuch und nicht gleich verpflichtend für Jahre? Und ganz im Sinne des Zukunfts­weges für unser Erzbistum, zu dem wir aufgerufen sind: wo spüren Sie da die Verbindung zu Christus in Ihrem Leben? Wo finden Sie Gele­genheit, ihm in der Stille, im Hö­ren auf das Wort und auf die Mit­menschen, in guten Erfahrungen zu begegnen? Auch bei Maria und Martha im Evangelium muss man den Zusammenhang sehen: vorher wird uns das Beispiel des barm­herzigen Samariters gegeben, nach der Stelle mit der Bewirtung sagt Jesus seinen Nachfolgenden, wie Sie beten sollen und Gott als Vater erfahren können. Der Satz von Karl Rahner hat nichts an prophetischer Kraft verloren: „Der Christ von morgen wird einer sein, der etwas erfahren hat, ein Mystiker. Oder er wird nicht mehr sein.“

Montag, 20. März 2017

Handy und Kirche?

Ich gestehe:
Ich habe mich letztens selbst verschämt zum ersten Mal getraut mein Smartphone in der Kirche zu benutzen. Ganz heimlich. Noch ein paar Tage zuvor hat jemand einfach in der Kirche telefoniert – aber das war für alle in Ordnung, es war spät in der Messe und es ging darum einen Krankenwagen zu rufen. Gott sei Dank mussten die Rettungssanitäter nichts anderes tun als nur den Blutdruck zu messen.


Zurück zu meinem Geständnis: Vielleicht geht es Ihnen als gelegentlichem oder häufigen Gottesdienstteilnehmer auch so, dass sie mitsingen, mitbeten, sich setzen und auf die Lesung lauschen – und vielleicht schon dabei oder gegen Ende mit den Gedanken abschweifen, weil ein Wort oder ein Gefühl sie besonders angesprochen hat? Mir ging es mal wieder so, zu meinem Leidwesen, mir fielen dann wichtige Dinge ein, die bald erledigt sein müssen. Und plötzlich kam der Antwortgesang auf die Lesung und ich konnte mich an die Worte der Lesung nicht mehr erinnern. Ich habe mich dann entschieden, in mein aufgeschlagenes Gotteslob (das angezeigte Lied kannte ich auswendig) das Smartphone zu legen und die Internetseite des „Schott-Messbuches“ zu öffnen. Die hatte ich mir schon auf die Startseite gelegt, ich musste nur einmal drauftippen. Schon wurden alle von der normalen liturgischen Lese-Ordnung festgelegten Texte angezeigt und ich konnte die Worte der Lesung nochmals aufnehmen. Dabei natürlich bewusst den Antwortgesang singend. Ich meine sogar, das geschafft zu haben (Die Angaben der normalen Texte stehen übrigens auch in jedem Gotteslob im Anhang ab Nummer 880).


Wenn ich gehört habe, dass mancherorts Christen mit dem Messbuch in der Bank sitzen habe ich mich gewundert. Scheinbar war das seinerzeit wohl zumindest zum Teil auch so, weil sie sicher gehen wollten, dass in der Messe auch alles richtig ist. Manchmal gab es da sogar Beschwerden. Aber was heißt schon „richtig“? Reicht ein vermeintlich juristischer Wahrheitsbegriff (auf Latein: „rite et recte“) zur Bewertung, dass ein Gottesdienst richtig gestaltet wird? Dass er zum Segen für die Mitfeiernden und die Welt wird? Dass er unsere Lebenswelt berührt und bewegt? Sind Gewohnheiten und Traditionen auch Heilsgewissheiten? Ein Gespräch bei einem Krankenbesuch hat mich darüber nachdenken lassen.


Empfinden Sie Veränderungen der Zeit als bedrohlich? Die Kirche hat sich in ihrer 2000jährigen Geschichte schon oft darüber Gedanken machen müssen. Wir gedenken in diesem Jahr auch an 500 Jahre Geschichte der Kirche mit Martin Luther. Von ziemlich großer Bedeutung dabei war eine für damalige Verhältnisse umwälzende kulturelle Weiterentwicklung: der Buchdruck. Heute haben viele Menschen einen symbiotischen Umgang mit ihrem Smartphone. Das wird von vielen als furchtbare Kulturdegeneration empfunden und vielschichtig abgelehnt. Oft scheint mir die Kritik aber zu flach und nur teilweise berechtigt – aber gerne können wir darüber diskutieren.


Ein junger Pfarrer wurde vor noch nicht mal zehn Jahren aus der Kathedrale verwiesen, weil er ein Smartphone in der Kirchenbank nutzte. Es war den Anklagenden egal, dass er auf seinem  Smartphone eine Bibel-App nutzte und eine geistliche Lesung hielt. Diese App wurde seit ihrer Erfindung rund 260 Millionen Mal installiert. Die Benutzer haben 235 Milliarden Minuten mit ihr verbracht.

So oder so – wieviele Minuten möchten Sie in dieser Fastenzeit mit dem Lesen von Gottes Wort in der Bibel, ob in Papierform oder auf einem Bildschirmdisplay, verbringen?

Mittwoch, 15. März 2017

Darf’s etwas mehr sein? XXL in der Seelsorge ...

Etwas spät, aber nun dennoch kurz vor dem nächsten Heft nun endlich auch hier der Beitrag aus fünfachtel 3/2016:

Zwei Impulse führen zu diesem kleinen Gedankengang:
Erstens ein noch ziemlich aktuelles Buch mit dem provokanten Titel: „XXL Pfarrei. Monster oder Werk des Heiligen Geistes?“ Ein Pfarrer und sein ehren- und hauptamtliches Team berichten von den guten und schwierigen Erfahrungen beim Aufbruch in die Zukunft. Gegen schnelle Vorurteile setzen sie echte Beteiligung und konkrete Handlungsoptionen. Ungeschönt und lesenswert.

Zweitens der ältere vorgebliche „Dokumentar“-film „Supersize me“, der die Eigenart der Fastfood-Kultur in den USA karikiert. Der Hauptdarsteller will die schlimmen gesundheitlichen Folgen zeigen, die sich durch tägliche ausschließliche Ernährung in solchen Restaurants und durch mangelnde Bewegung ergeben. Heute kann man aber auch vielfältige Kritik dazu lesen. Der Mangel an Bewegung ist bleibend das wohl Entscheidende.


An und für sich klingt die Überschrift hier ja zunächst harmlos. Sie erinnert mich an gemütliche Einkaufserfahrungen an der Metzgereitheke. Im Supermarkt sprechen große Portionen immer an, preiswert einzukaufen ist heute vielen vielleicht wichtiger als der kritische Blick auf Qualität. Ich glaube, dass „XXL“ nicht nur beängstigende Assoziationen hervorrufen muss. Aber man sollte genau hinschauen. Wenn wir aber in Bezug auf unsere Gemeinden die Erfahrungen oder die Gefühle zu immer größeren Einheiten ansprechen, dann wird schnell von Angst, Verlust, Niedergang, Vorwürfen
und Schuldigen zu hören sein. Sündenböcke waren ja auch schon in biblischer Zeit notwendig.


Ist denn ein Blick in die Weite immer nur schlecht? Das vorschnelle Aburteilen von sogenannten Strukturreformen entlastet ja auch von dem ehrlichen Blick in die Realität und vor allem auf den Auftrag, der uns als Christen gestellt ist. Immer stehen Menschen in der Gefahr, die eigenen guten Erfahrungen und Bilder der Vergangenheit, die über viele Jahre vielleicht auch die richtigen damaligen Antworten waren, für absolut zu setzen. Alles Neue ist dann automatisch schlecht.


Ich persönlich möchte mich lieber immer wieder entscheiden, auch die Chancen zu sehen. Und mich den Realitäten zu stellen. Keine Frage: immer wird persönlicher Kontakt von Mensch zu Mensch, von Christ zu Christ und auch Nichtchrist, vom durch Jesus Christus motivierten Helfenden zu dem, der oder die in einer Situation Unterstützung oder Zuwendung braucht, das entscheidende Merkmal
einer christlichen Gemeinde sein. Die Projektion auf eine idealisierte Seelsorgerfigur alleine und
eine gefühlte Nähe durch die Erfüllung unterschiedlichster Erwartungen führt nicht in die Zukunft. Und das nicht, weil es diese idealisierten Seelsorger rein rechnerisch immer weniger geben wird. In blühenden Gemeinden an anderen Orten der Erde gab es aus dieser Perspektive heraus noch nie so viele davon, wie es sein müssten.

Es müssen Gemeinschaften von Menschen sein, die Gott einen Platz in ihrem Leben geben, die sich von ihm leiten lassen. Es gibt vielleicht in größeren Zusammenhängen und beim Blick über den örtlichen Tellerrand auch die Chancen, dass sich in neuer Weise Gruppen finden und Dinge entstehen können, die heute nötig sind und die unseren heutigen gesellschaftlichen Realitäten eine Antwort aus dem Glauben anbieten. Im Evangelium finde ich nichts davon, dass das nur in kuscheligen und von der Außenwelt in gewisser Weise abgeschotteten Pfarrfamilien geschehen muss. Im Gegenteil: Jesus sendet. Uns alle.


So hören wir das übrigens auch am Ende jedes Sonntagsgottesdienstes: „Gehet hin in Frieden“, denn ihr seid gesendet.
Gott sei Dank.